Jetzt arbeitete man zwar weiterhin im gleichen Luftraum, aber seit April 1968 vom Flughafen Frankfurt aus. Die eigentlichen Arbeitsbedingungen waren eher schlechter als zuvor. Schlimmer war der Mangel an Personal. Man mußte zu oft auch in hohem Verkehrsaufkommen zwei Arbeitsplätze (Kontrolle und Koordination) über mehrere Stunden hinweg gleichzeitig besetzen. Das artete oft genug in einer Hetze nach Sekunden aus, denn man hatte mit den angrenzenden Stellen zu telefonieren, den Funkverkehr zu führen und die Verkehrslage auf dem Radar zu verfolgen. So ist es leicht, sich vorzustellen, wieviel Zeit für Planung und Ausführung zur Staffelung übrigblieben, wenn innerhalb von 22 Minuten 44 Flüge den Streckenpunkt Frankfurt in nur 8 Flugflächen passierten.
Am 6.3.1973 passierten zwischen 0107 Uhr Z und 2351 Uhr Z über Flugfläche 245 (ca. 7500 m) 258 Flüge allein die Streckenkreuzung Karlsruhe KAL aus vier Richtungen kommend. Der Begriff „Streß“ hatte in der Flugverkehrskontrolle damals noch eine ganz andere Bedeutung als heute. Streß empfand man, wenn man bei der Arbeit gar nicht mehr weiter wußte, weil einem die Zeit davongelaufen und kein freier Luftraum mehr verfügbar war, um seine Flüge im eigenen Sektor voneinander staffeln zu können. Das Geschehen spielte sich schließlich mit Annäherungsgeschwindigkeiten zwischen 500 und 1500 km/h ab.
Selbst den NATO-Luftwaffen wurde das damals zu bewältigende Verkehrsaufkommen, verursacht durch interne Beschwerden der fliegenden Verbände, mit der Zeit unheimlich. Daher erstellte die US-Luftwaffe eine interne Statistik über das gesamte Verkehrsaufkommen, alle Beteiligten umfassend. 1970 hatte man im Tagesdurchschnitt 3701 Flüge über dem Gebiet Westdeutschlands durchgeführt und 1974 waren es bereits 5127.
Rhein Control war nun keine eigene Dienststelle mehr, sondern Teil der größeren Flugsicherungs-Leitstelle Frankfurt/Main. Hier in Frankfurt/Main begann für mich eine neue Etappe meiner beruflichen Tätigkeit und Entwicklung. Man war jetzt durch die Großstadt wieder in unmittelbarer Nähe der Fluggesellschaften, Luftfahrtorganisationen und der Medien angekommen. In dieser Zeit folgten verschiedene Weiterbildungskurse der BFS an der Lufthansa-Schule und beim INSTILUX Lehrinstitut EUROCONTROLs in Luxemburg.
Diese ersten Jahre in Frankfurt von 1968 bis 1971 waren turbulent, denn die Behörde und unsere Dienststellenleitung gaben mir als Personalvertreter unserer FS-Zentrale Probleme auf, die eigentlich einer Ganztagsbeschäftigung bedurft hätten. Als einziger Vertreter unserer inzwischen auf über 70 Personen angewachsenen Gruppe mußte ich mich in meiner Freizeit auch hier um die Personalbelange meiner Kollegen gegenüber der Dienststellenleitung beschäftigen. Es standen Beförderungen an. Aber es gab nicht genügend Planstellen. Verhandlungen zu einer Neugestaltung der Beamtenbezüge für diese Gruppe des Öffentlichen Dienstes waren an der Tagesordnung und „Dienst nach Vorschrift“ war Tagesthema. Ich gab meine Personalratstätigkeit von einem Tag auf den anderen auf, da die Dienststellenleitung beabsichtigte zu illegalen Mitteln zu greifen um sich meiner zu entledigen.
In einem Schreiben an den Präsidenten der Behörde betonte der Arbeitsschutzarzt im Juli 1973 u.a.: „Es besteht neben der starken saisonbedingten Arbeitsbelastung eine permanente Angst vor Fehlleistungen, die dann disziplinarisch belangt werden könnten. Hinzu kommt eine seelische und nervliche Anspannung und Verkrampfung, Unsicherheit den Vorgesetzten und gewissen Kollegen gegenüber sowie ein insgesamt bis zum äußersten gereiztes Arbeitsklima. Seit wenigen Tagen jedoch treibt dieser bisherige Zustand unaufhaltsam auf einen Kulminationspunkt zu, der das gesamte Arbeitssystem des Flugkontrolldienstes in Frankfurt aus den geordneten Bahnen wirft und nicht mehr verkraftet werden kann. Bei der am 4.7.1973 mit der FS-Leitstelle Frankfurt durchgeführten Besprechung wurde deshalb eine komplette Schließung der Kontrolldienste in Frankfurt erwogen. Dieser Erwägung kann arbeitsschutzärztlich voll und ganz zugestimmt werden, da die Flugsicherheit unter dieser Umständen nicht mehr gewahrt ist.“
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